Der Blog zur Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems www.jm-hohenems.at
Mi 4. April 2012
Warum verfolgte man die Juden?
Mariella Müller
Liebe Frau Müller,
nicht zu aller Zeit und nicht an jedem Ort wurden Juden verfolgt, im Gegenteil: Es gab viele Phasen entspannten und gedeihlichen Zusammenlebens von Juden mit der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft. Unser Blick auf die Geschichte ist dabei durch die Massenvernichtung in der NS-Zeit beeinträchtigt, und wir neigen dazu, die jüdische Geschichte als eine Abfolge von Pogromen zu sehen.
“Man” hat die Juden also nicht verfolgt, sondern es waren immer ganz bestimmte Täter mit ganz bestimmten Interessen, seien es böswillige Nachbarn oder auch Könige oder Grafen, die vielleicht eine Rechnung für gelieferte Waren nicht bezahlen wollten.
Den theoretischen Hintergrund für die soziale Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung der Juden lieferte das Christentum mit dem Vorwurf des Gottesmordes. Die Kreuzigung Jesu wurde dabei als Kollektivschuld den Juden umgehängt und immer auch den zeitgenössischen Juden zum Vorwurf gemacht. Die Substitutionstheologie lehrte zudem, dass die Juden ihre religiöse “Auserwähltheit” an die christliche Kirche verloren hätten, da sie Jesus nicht als Messias akzeptierten. Nun liege ein Fluch Gottes auf allen Juden. Das motivierte und erleichterte, sie zu diskrimieren und auszugrenzen, bei Gelegenheit zu berauben, zu vertreiben oder zu ermorden.
Hannes Sulzenbacher, Donnerstag, 5. April 2012
Blutige Verfolgung von Minderheiten war weder in der europäischen noch in der allgemeinen Geschichte eine Seltenheit.
Juden waren als Minderheit innerhalb eines “christlichen Europas” freilich oft in einer besonders prekären Situation – die nicht nur von Verfolgung sondern auch von Vereinnahmung geprägt war und ist. Die christliche Bewegung ist ursprünglich aus dem Judentum heraus entstanden, und hat ihr Verhältnis zu ihrer Herkunft nie eindeutig klären können. Daran ist das Judentum tatsächlich auf gewisse Weise “schuld”, wenn auch nur dadurch, dass es weiter existieren möchte. Die ersten Christen verstanden sich im Grunde noch selbst als Juden, freilich als solche, die den Schritt zur aktiven messianischen Mission tun wollten. Die jüdische Tradition ist ihnen nicht gefolgt – und so begann der Weg einer christlichen Theologie, die die jüdische “Verstocktheit” (also ihr Beharren auf der Unerlöstheit der Welt) als “Schuld” interpretierte. Diese Vorstellung konnte viele Formen annehmen:
Sie konnte darin münden, die Fortexistenz des Judentums zwar zu akzeptieren, sein Exil und Leiden aber als Zeugnis für das historische Recht des Christentums zu werten. Daraus wurde eine häufig verfolgte Politik christlicher Herrschaft, Juden zwar zu tolerieren, aber streng zu kontrollieren und zu beherrschen.
Daraus konnte aber auch immer wieder das Recht abgeleitet werden, sie zu verfolgen und ihnen das Existenzrecht abzusprechen.
Anders als viele andere Minderheiten, die in der Geschichte verfolgt wurden, gingen die Juden in der Mehrheitsbevölkerung nicht einfach auf, sondern behielten ihren prekären Status bei. Sie waren zugleich “nah” und “fern”, sie waren zugleich das “andere” des Christentums schlechthin, jenes “andere” auf das das eigene untrennbar bezogen blieb, denn schließlich basierte das Christentum auf der Wahrnehmung eines jüdischen Propheten als Messias. Zugleich war das Judentum durch seine geografische Zerstreuung (die ja schon lange vor dem Beginn der Zeitrechnung eine Tatsache war) fast überall präsent und das heißt auch, als Minderheit greifbar, wenn die Mehrheit einen Sündenbock brauchte. Und das war meisten dann er Fall, wenn die Widersprüche innerhalb der Mehrheit oder die Konflikte zwischen konkurrierenden Mächten über Territorien und Ressourcen, oder über die Loyalität von Bevölkerungen besonders dramatisch wurden. Dann wurden schlummernde Ressentiments gegen die jüdische Minderheit leicht aktiviert und die Juden als “Dritte” in vielen Konflikten zum Spielball antijüdischer aber auch “projüdischer” Ideologien.
Das war so in den Konflikten zwischen der Kirche und ihren Abtrünnigen im Mittelalter, das war so im Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus und in den großen sozialen Konflikten im Kapitalismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts und ist heute so in den Konflikten zwischen verschiedenen Gruppierungen im politischen Islamismus (und wenn man so will zwischen “westlicher” Politik und den politischen Bewegungen im Nahen Osten). In dieser Situation als Spielball von Interessen sind Juden durchaus zu einer erfolgreichen Minderheit geworden, was sie zu alldem noch zum Objekt von Neid und Konkurrenzdruck gemacht hat. Ökonomische Interessen an Handel und Entwicklung, die den Juden in verschiedenen Gesellschaften unter strenger Reglementierung immer wieder besondere Berufsfelder zuwiesen haben dafür gesorgt, dass auch ihr sozialer Status prekär und besonders sichtbar wurde. Als Angehörige von freien und Handelsberufen waren sie ökonomisch wertvoll und zugleich auf den besonderen Schutz der Herrschaft angewiesen – und konnten jederzeit als Sündenbock preisgegeben werden, wenn es zu Spannungen kam.
Besonders drastisch erlebten Juden diese Wechselfälle von Vefolgung und Vereinnahmung schon im Spanien vor und während der Reconquista. Solange Teile Spaniens unter islamischer Herrschaft standen, hatten sie nicht nur im Territorium des islamischen Kalifats über lange Zeit hinweg einen gesicherten Rechtsstatus, sondern bis ins 14. Jahrhundert hinein auch in manchen christlichen Provinzen Spaniens eine halbwegs gesicherte Existenz. Und wurden von beiden Seiten zum Teil als Bündnispartner oder auch als positiver sozialer Faktor hofiert.
Unter dem Eindruck der Radikalisierung der Konkurrenz um die iberische Halbinsel zwischen christlichen Königen und Muslimen, aber auch zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der islamischen und der christlichen Gesellschaften kam es – vor allem im 14. Jahrhundert – zu den ersten blutigen Pogromen, Vertreibungen und unter christlicher Herrschaft zu Zwangskonversionen. Mit dem endgültigen Sieg der christlichen Herrschaft in Spanien blieb den Juden nur Flucht, Tod oder Konversion. Bald darauf aber setzte die neue spanische Inquisition den Konvertiten gewaltsam zu und bald standen auch die zum Christentum konvertierten Juden und Muslime unter Generalverdacht und durften schließlich keine öffentlichen oder geistlichen Ämter mehr ausüben. Schon damals wurde die Parole von der “Reinheit des Blutes” zum Gesetz. Zur gleichen Zeit entstanden neue, blühende jüdische Gemeinden, nicht zuletzt im Osmanischen Reich.
Und das Wechselbad von Jahrhunderten von halbwegs friedlichem, wenn auch diskriminierend organisiertem Zusammenleben und kurzfristigen Wellen von Verfolgung ging anderswo weiter…
Liebe Frau Müller,
nicht zu aller Zeit und nicht an jedem Ort wurden Juden verfolgt, im Gegenteil: Es gab viele Phasen entspannten und gedeihlichen Zusammenlebens von Juden mit der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft. Unser Blick auf die Geschichte ist dabei durch die Massenvernichtung in der NS-Zeit beeinträchtigt, und wir neigen dazu, die jüdische Geschichte als eine Abfolge von Pogromen zu sehen.
“Man” hat die Juden also nicht verfolgt, sondern es waren immer ganz bestimmte Täter mit ganz bestimmten Interessen, seien es böswillige Nachbarn oder auch Könige oder Grafen, die vielleicht eine Rechnung für gelieferte Waren nicht bezahlen wollten.
Den theoretischen Hintergrund für die soziale Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung der Juden lieferte das Christentum mit dem Vorwurf des Gottesmordes. Die Kreuzigung Jesu wurde dabei als Kollektivschuld den Juden umgehängt und immer auch den zeitgenössischen Juden zum Vorwurf gemacht. Die Substitutionstheologie lehrte zudem, dass die Juden ihre religiöse “Auserwähltheit” an die christliche Kirche verloren hätten, da sie Jesus nicht als Messias akzeptierten. Nun liege ein Fluch Gottes auf allen Juden. Das motivierte und erleichterte, sie zu diskrimieren und auszugrenzen, bei Gelegenheit zu berauben, zu vertreiben oder zu ermorden.
Hannes Sulzenbacher, Donnerstag, 5. April 2012
Blutige Verfolgung von Minderheiten war weder in der europäischen noch in der allgemeinen Geschichte eine Seltenheit.
Juden waren als Minderheit innerhalb eines “christlichen Europas” freilich oft in einer besonders prekären Situation – die nicht nur von Verfolgung sondern auch von Vereinnahmung geprägt war und ist. Die christliche Bewegung ist ursprünglich aus dem Judentum heraus entstanden, und hat ihr Verhältnis zu ihrer Herkunft nie eindeutig klären können. Daran ist das Judentum tatsächlich auf gewisse Weise “schuld”, wenn auch nur dadurch, dass es weiter existieren möchte. Die ersten Christen verstanden sich im Grunde noch selbst als Juden, freilich als solche, die den Schritt zur aktiven messianischen Mission tun wollten. Die jüdische Tradition ist ihnen nicht gefolgt – und so begann der Weg einer christlichen Theologie, die die jüdische “Verstocktheit” (also ihr Beharren auf der Unerlöstheit der Welt) als “Schuld” interpretierte. Diese Vorstellung konnte viele Formen annehmen:
Sie konnte darin münden, die Fortexistenz des Judentums zwar zu akzeptieren, sein Exil und Leiden aber als Zeugnis für das historische Recht des Christentums zu werten. Daraus wurde eine häufig verfolgte Politik christlicher Herrschaft, Juden zwar zu tolerieren, aber streng zu kontrollieren und zu beherrschen.
Daraus konnte aber auch immer wieder das Recht abgeleitet werden, sie zu verfolgen und ihnen das Existenzrecht abzusprechen.
Anders als viele andere Minderheiten, die in der Geschichte verfolgt wurden, gingen die Juden in der Mehrheitsbevölkerung nicht einfach auf, sondern behielten ihren prekären Status bei. Sie waren zugleich “nah” und “fern”, sie waren zugleich das “andere” des Christentums schlechthin, jenes “andere” auf das das eigene untrennbar bezogen blieb, denn schließlich basierte das Christentum auf der Wahrnehmung eines jüdischen Propheten als Messias. Zugleich war das Judentum durch seine geografische Zerstreuung (die ja schon lange vor dem Beginn der Zeitrechnung eine Tatsache war) fast überall präsent und das heißt auch, als Minderheit greifbar, wenn die Mehrheit einen Sündenbock brauchte. Und das war meisten dann er Fall, wenn die Widersprüche innerhalb der Mehrheit oder die Konflikte zwischen konkurrierenden Mächten über Territorien und Ressourcen, oder über die Loyalität von Bevölkerungen besonders dramatisch wurden. Dann wurden schlummernde Ressentiments gegen die jüdische Minderheit leicht aktiviert und die Juden als “Dritte” in vielen Konflikten zum Spielball antijüdischer aber auch “projüdischer” Ideologien.
Das war so in den Konflikten zwischen der Kirche und ihren Abtrünnigen im Mittelalter, das war so im Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus und in den großen sozialen Konflikten im Kapitalismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts und ist heute so in den Konflikten zwischen verschiedenen Gruppierungen im politischen Islamismus (und wenn man so will zwischen “westlicher” Politik und den politischen Bewegungen im Nahen Osten). In dieser Situation als Spielball von Interessen sind Juden durchaus zu einer erfolgreichen Minderheit geworden, was sie zu alldem noch zum Objekt von Neid und Konkurrenzdruck gemacht hat. Ökonomische Interessen an Handel und Entwicklung, die den Juden in verschiedenen Gesellschaften unter strenger Reglementierung immer wieder besondere Berufsfelder zuwiesen haben dafür gesorgt, dass auch ihr sozialer Status prekär und besonders sichtbar wurde. Als Angehörige von freien und Handelsberufen waren sie ökonomisch wertvoll und zugleich auf den besonderen Schutz der Herrschaft angewiesen – und konnten jederzeit als Sündenbock preisgegeben werden, wenn es zu Spannungen kam.
Besonders drastisch erlebten Juden diese Wechselfälle von Vefolgung und Vereinnahmung schon im Spanien vor und während der Reconquista. Solange Teile Spaniens unter islamischer Herrschaft standen, hatten sie nicht nur im Territorium des islamischen Kalifats über lange Zeit hinweg einen gesicherten Rechtsstatus, sondern bis ins 14. Jahrhundert hinein auch in manchen christlichen Provinzen Spaniens eine halbwegs gesicherte Existenz. Und wurden von beiden Seiten zum Teil als Bündnispartner oder auch als positiver sozialer Faktor hofiert.
Unter dem Eindruck der Radikalisierung der Konkurrenz um die iberische Halbinsel zwischen christlichen Königen und Muslimen, aber auch zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der islamischen und der christlichen Gesellschaften kam es – vor allem im 14. Jahrhundert – zu den ersten blutigen Pogromen, Vertreibungen und unter christlicher Herrschaft zu Zwangskonversionen. Mit dem endgültigen Sieg der christlichen Herrschaft in Spanien blieb den Juden nur Flucht, Tod oder Konversion. Bald darauf aber setzte die neue spanische Inquisition den Konvertiten gewaltsam zu und bald standen auch die zum Christentum konvertierten Juden und Muslime unter Generalverdacht und durften schließlich keine öffentlichen oder geistlichen Ämter mehr ausüben. Schon damals wurde die Parole von der “Reinheit des Blutes” zum Gesetz. Zur gleichen Zeit entstanden neue, blühende jüdische Gemeinden, nicht zuletzt im Osmanischen Reich.
Und das Wechselbad von Jahrhunderten von halbwegs friedlichem, wenn auch diskriminierend organisiertem Zusammenleben und kurzfristigen Wellen von Verfolgung ging anderswo weiter…
Hanno Loewy, Samstag, 7. April 2012