Der Blog zur
Ausstellung im
Jüdischen Museum
Hohenems
www.jm-hohenems.at

Do 21. Juni 2012

Wie viele Juden gibt es weltweit, wie viele Leben in Israel? Wie stark ist die Jüdische Friedensbewegung in Israel?

Michael Ledwinka

  • Zur ersten Frage:
    Heute sind es wieder ungefähr 14 Millionen Juden, die in aller Welt leben, wobei dabei nur jene eingerechnet sind, die jüdischen Gemeinden angehören. Also nicht Menschen, die sich dem Judentum einfach zugehörig oder nahe fühlen, weil manche ihrer Verwandten jüdisch sind.

    Etwa 5,7 Millionen von ihnen leben in Nordamerika (USA und Kanada), ebenfalls 5,7 Millionen sind jüdische Israelis, fast 500.000 leben in Frankreich und fast 300.000 in Großbritannien, etwa 200.000 in Russland und ungefähr 180.000 in Argentinien, und etwa 120.000 in Deutschland – um nur die größten Gemeinschaften zu nennen. Aber natürlich leben auch Juden in der Schweiz und Österreich, Italien und in der Ukraine und in vielen anderen Ländern. Früher lebten auch viele Juden in Nordafrika, im Iran und im Irak. Dort sind die Gemeinden heute aber auch viel kleiner als früher, weil Juden von dort nach Israel, in die USA oder nach Frankreich gewandert sind.

    Zur zweiten Frage:
    Wie soll man das beantworten. Manchen ist sie zu schwach, manchen ist sie zu stark. Vielleicht ist sie angesichts der zu lösenden Probleme einfach hilflos?
    Ihre Frage unterstellt, dass es darum geht Frieden zu schließen. Aber vielleicht ist das gar nicht die entscheidende Frage? Vielleicht geht es darum, wie EINE zivile Gesellschaft zwischen Jordan und Mittelmeer entstehen kann? Vielleicht geht es um Bürgerrechte und Verfassung?
    Dies würde voraussetzen, dass niemand mehr – egal ob christlich, jüdisch oder muslimisch – einen göttlich verbrieften Anspruch auf Jerusalem geltend machen kann. Das ist, angesichts von Millionen von Pilgern, Siedlern und Gotteskriegern die eigentliche Utopie um die es geht.

    Abraham Burg, selbst viele Jahre in der Friedensbewegung aktiv, hat das Problem vor einem halben Jahr in der israelischen Zeitung Haaretz sehr pointiert auf den Punkt gebracht:
    „Die Opposition soll nicht länger auf eigene Faust Friedensschritte initiieren; sie machen alles nur noch schlimmer. Sie schaffen eine Illusion, zuhause wie im Ausland, dass die gegenwärtige Realität nur temporär sei. Dass es immer noch möglich ist, die dicken Geister zurück in die Flasche zu verbannen. Aber das ist nur eine zynische Täuschung, denn das ist nicht mehr möglich. Denn wir haben die rote Linie überschritten und alle points of no return. …
    Genug der Illusionen. Es gibt keine zwei Staaten mehr zwischen dem Jordan und dem Meer. Lasst die rechten Knesset-Abgeordneten … in der Welt herumreisen und ihre schönen Gesichter zeigen, ohne das täuschende Make-up, das wir ihnen geliefert haben. Inzwischen müssen wir uns überlegen, wie wir in den neuen israelischen Diskurs eintreten können. … Die nächste diplomatische Formel, die das „zwei Staaten für zwei Völker“ ablösen wird, wird eine zivile Formel sein. Alle Menschen zwischen dem Jordan und dem Meer haben die selben Rechte auf Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit. … Es kann gut sein, dass es ein Land sein wird mit nationalistischer, rassistischer und religiöser Diskriminierung, ein Land, das offenkundig nicht demokratisch ist, so wie das Land jetzt auch schon. Aber es könnte auch ganz anders aussehen. Eine Einheit mit einer gemeinsamen Basis für mindestens drei Mitspieler: eine ideologische Rechte, die sich darauf einstellt ihre Machbarkeit auszutesten, eine Linke, die beginnt, sich von der Illusion des ‚jüdisch und demokratisch’ zu befreien, und einem nicht zu vernachlässigenden Teil der palästinensischen Intelligenz. Auf den Rahmen wird man sich einigen – ein demokratischer Staat, der allen seinen Bürgern gehört.“
    (Der ganze Artikel findet sich hier:
    http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/now-it-s-your-turn-1.403059)

    Hanno Loewy, Donnerstag, 28. Juni 2012

Mi 20. Juni 2012

Werden Juden (wenn andere wissen, dass sie Juden sind) auf ihre Religion / die Vergangenheit reduziert?

Katharina

  • Das passiert einem in der Tat häufiger. Dann fragt man sich, warum man nicht als einzelne Person angesehen wird, sondern als Exemplar.
    Da es in unseren Breiten nicht so viele Juden gibt, aber alle Leute ständig etwas über sie wissen wollen, geschieht einem das natürlich gerade in Mitteleuropa besonders oft. In New York ist das anders…
    Kaum jemand möchte gerne ständig als Auskunftsperson und “Experte” in Sachen Judentum ausgeforscht werden. Andererseits gibt es ein paar Menschen, deren Eitelkeit es vielleicht schmeichelt. Die werden dann zu “Berufsjuden”…

    Hanno Loewy, Montag, 2. Juli 2012

Di 19. Juni 2012

Warum können Juden nicht zugleich Christen sein? Es gibt doch Judenchristen.

Rainer Büchel

  • Das Christentum ist zu einer Zeit entstanden, als das Judentum in einer Krise war. Römische Besatzungsherrschaft und ein jüdischer König von römischen Gnaden, eine Priesterkaste, die versuchte, sich dieser Besatzung anzupassen und große soziale Spannungen waren der Nährboden für zahlreiche prophetische Prediger, die über das Land zogen und Anhänger sammelten. Jesus von Nazareth war einer von ihnen.
    Nach seinem Tod machten seine Anhänger aus ihm die Gründungsgestalt einer messianischen religiösen Bewegung, die zunächst darauf zielte, das Judentum radikal zu verändern – durch die Annahme, der Messias sei erschienen. Doch nachdem diese neue Bewegung im Judentum nur eine begrenzte Zahl von Anhängern fand, suchten und fanden die “Judenchristen” ihren Erfolg in der Bekehrung von “Heiden”. Das freilich veränderte das Christentum. Und der Ton der Abgrenzung gegenüber den “verstockten” Juden wurde aggressiver.

    Von “Judenchristen” heute zu sprechen macht wenig Sinn. Es gibt eine Bewegung “messianischer Juden”, die behaupten Christen geworden zu sein, und dennoch Juden geblieben zu sein. (In den USA firmiert diese Bewegung unter “Jews for Jesus”.) Und es gibt judaisierende Christen (manchmal mit jüdischen Vorfahren) die beide religiösen Wurzeln ihrer Existenz versöhnen wollen.
    Aber wenn Begriffe irgendeinen Sinn machen, dann doch weil sie auf eine Differenz hinweisen. Ein Tisch ist ein Tisch und ein Stuhl ist ein Stuhl, auch wenn man sich zur Not auch auf einen Tisch setzen kann.
    Zu den entscheidenden Grundlagen des Judentums gehört die geduldige Erwartung eines Messias. Und es ist in der jüdischen Tradition eine Sünde, zu glauben, dass man den Messias herbei zwingen kann. (Auch wenn die Lubawitscher Bewegung in ihrem Überschwang manchmal in messianische Fahrwasser abdriftet…)

    Man muss schon einige Akrobatik vollbringen um diese auf die Zukunft gerichtete Messiashoffnung im Judentum mit der erinnernden Messiasgewissheit des Christentums zu verwechseln oder in eins zu setzen. Aus einer jüdischen Sicht ist “ein messianisches Judentum” letztlich nur eine verkappte Missionierung und damit eine Fortsetzung einer unheilvollen Gewaltgeschichte mit friedlicheren Mitteln. Auch dann wenn “messianische Juden” den Sabbat halten.

    Was würden Christen dazu sagen, wenn eine Bewegung der “nicht-messianischen Christen” entstünde, die zwar weiter den Sonntag halten und Jesus als Propheten ansehen würden, aber ihn nicht mehr als Gottes Sohn und Messias betrachten würden. Würden Sie einen Anhänger einer solchen Bewegung noch als Christ ansehen?

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

Di 19. Juni 2012

Ist es gut eine Gemeinschaft zu bilden, die sich von anderen abgrenzt? Ist es besser sich als Individuum zu sehen?

Robert Petschar

  • Das Problem ist wohl, dass Gemeinschaften immer durch zwei Faktoren entstehen, durch positive Gemeinsamkeit und durch negative Abgrenzung gegenüber anderen. An Speiseritualen lässt sich das besonders gut beobachten. Nichts stiftet mehr Gemeinsamkeit, als ein gemeinsames Mahl. Bestimmte Regeln verweisen auf die symbolische Bedeutung mancher Speisen und damit positiv auf gemeinsame Erfahrung (zum Beispiel der unter Christen am Freitag verzehrte Fisch). Und jedes Speiseverbot setzt eine Grenze zu jenen, die dieses Verbot verletzen, zum Beispiel weil sie andere Speisegebote einhalten.
    Dabei fallen einem die Speiseregeln der “anderen” meistens mehr auf, als die eigenen (die man schon so verinnerlicht hat, dass man sie einfach als Normalzustand wertet).

    Ist das nun “gut” oder “schlecht”? Es ist offenbar menschlich, denn alle Kulturen und Gesellschaften haben diese Praxis in der einen oder anderen Form eingeübt. Wer Fan einer Fußballmanschaft ist und das Gemeinschaftsgefühl genießen will, in einem solchen Kollektiv aufzugehen, wird nicht mit dem Fan-Schal der gegnerischen Mannschaft ins Stadion kommen. Und wer unbedingt in einem “christlichen Abendland” leben möchte, wird alles dagegen tun, dass in seiner näheren oder auch weiteren Umgebung ein Minarett errichtet wird.

    Sich als Individuum zu sehen, setzt eine gewisse Ich-Stärke voraus, über die offenbar nicht jeder Mensch immer verfügt. Aber letztlich sind wir doch eigentlich immer zugleich Individuum und Teil einer Gemeinschaft.
    Gefährlich wird es wohl, wenn wir nur noch das eine oder das andere sind. Und vor allem dann, wenn wir nur noch uns selbst (egal ob als Individuum oder als Gemeinschaft) sehen und gelten lassen wollen.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

So 17. Juni 2012

Wie viele Juden gibt es in Zürich?

Bruce G.

  • In der Schweiz leben insgesamt ungefähr 18.000 Juden, etwa 6000 von ihnen in Zürich. Wirklich genaue Zahlen gibt es jedoch nicht, schließlich sind nicht alle Juden Mitglied in einer der verschiedenen traditionellen, orthodoxen oder liberalen Gemeinden.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

Sa 16. Juni 2012

Wie viele Juden lebten noch etwa nach dem 2. Weltkrieg?

Allan Guggenbühl

  • Etwa 11 Millionen. Inzwischen sind es wieder ungefähr 14 Millionen.
    Vor dem Holocaust waren es etwa 16 bis 17 Millionen weltweit. Wobei die Zahlen aus dieser Zeit aufgrund von Wanderungen und vor allem von mangelnden Bevölkerungsstatistiken in vielen Ländern außerhalb Europas und Amerikas noch nicht präzise sein konnten.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

Sa 16. Juni 2012

Sind die Vorurteile gegenüber den Juden (geschäftstüchtig, lange Nase, Beschneidung) vor allem hier in Mitteleuropa?

Sabine

  • Die meisten dieser Vorurteile haben ihre Wurzeln wohl in der europäischen Geschichte, und damit auch in der christlichen Tradition der Abgrenzung vom Judentum.
    Die Vorstellung einer “jüdischen Nase” diente natürlich dazu, sie als Fremde in Europa auch körperlich als “anders” zu markieren (ganz gleich, wie ihre Nase wirklich aussah). Die “Geschäftstüchtigkeit” war leicht zu beweisen: da Juden in Europa nur im Handel arbeiten durften, blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als zu versuchen auf diesem Feld tüchtig zu sein. Wem das gelang, wurde als Beweis für das Vorurteil hergenommen, wem das nicht gelang (wer also nicht so tüchtig war) der wurde natürlich auch nicht wahrgenommen.

    Heute findet man solche Bilder aber in aller Welt, nicht zuletzt überall da, wo politische Kräfte mit diesen Vorurteilen eigene Ziele befördern können. Viele traditionelle christliche Vorurteile gegenüber Juden sind heute in arabischen Ländern sehr verbreitet, wo heute nur wenige Juden leben und eigentlich eher die Existenz Israels für Streit sorgt. Dort blühen natürlich vor allem Verschwörungstheorien über die geheime Macht. Die Nasenform ist da kein Thema, und schon gar nicht die Beschneidung. Die haben Juden und Muslime ja gemeinsam.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

Do 14. Juni 2012

Weshalb sich Juden mit der Frage beschäftigen, ob dieser oder jener Mensch wirklich jüdisch oder halbjüdisch oder noch weniger jüdisch ist

Michael Guggenheimer

  • Lieber Michael,
    dafür gibts wahrscheinlich viele Gründe. Als Minderheit, die in der Diaspora ihre Traditionen bewahren will, hat das Judentum sich immer von der christlichen (oder auch muslimischen) Umgebung abgrenzen müssen, um zu überleben. Die meisten Juden in der der Geschichte haben wahrscheinlich dennoch überlebt, weil sie irgendwann die Tradition losgelassen haben. Und vielleicht nie, manchmal aber auch irgendwann wieder zu ihr zurückgekehrt sind. Schon die Fleischtöpfe Ägpytens waren doch eine nette Verlockung, und an den Ufern Babels wurde auch nicht nur geweint, sondern auch gefeiert.
    Also, es gibt schon ein lange gepflegtes Misstrauen gegen jene, die sich “entfernen”.
    Eine “jüdische Hochzeit” steht auch schon lange auf der traditionellen Wunschliste jener, die sich über den Erhalt der Gemeinschaft mehr Gedanken machen, als über das Wohlergehen des Einzelnen. Und die entsprechenden Konflikte sind so alt wie die Bibel.
    Seit dem Holocaust sind all diese Fragen noch einmal verschärft worden. “Amchu”, bist Du “einer von uns”? Nach der Vernichtung hatte diese Frage einen ganz eigenen, zwingenden Klang. Auf wen sonst sollte man sich verlassen? Die Realität war natürlich auch damals eine andere. Schon in den DP-Camps waren die viel gescholtenen “Mischehen” durchaus auf der Tagesordnung.
    Und jetzt wollen auch noch Christen Juden werden. Damit stellen sich schon wieder andere, neue Fragen.
    Alles in allem gibt es heute wenig Identität, aber viel Identitätsbesessenheit. Und das wiederum ist nicht nur ein jüdisches Problem.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

Mi 13. Juni 2012

Wo steht das in der Bibel, dass Judäa das Land der Juden ist?

  • Judäa ist der Name einer römischen Provinz, die im wesentlichen auf dem Gebiet des alten israelitischen Königreiches Juda (auf beiden Seiten des Jordans – aber mit sich verändernden Grenzen) errichtet wurde. Es gab auch Samaria und Galiläa. Die Geografie des nahen Ostens war schon damals kompliziert. Aber die römische Provinz dieses Namens kann natürlich in der hebräischen Bibel nicht vorkommen. Die war da schon geschrieben.

    “Juda” hingegen, sowohl als Name einer Wüste und eines Gebirges, als Name eines der zwölf Stämme und als dessen Stammesgebiet, und später als Name eines israelitischen Königreiches (eines von zwei, die zeitweise nebeneinander existierten, das andere hieß “Israel”), kurz “Juda” kommt hingegen in der hebräischen Bibel so oft vor, dass die Aufzählung diesen Blog sprengen würde, vom Buch Richter bis zum Buch Josua, vom Buch Samuel bis zu den Psalmen.
    Im Buch Josua 15, 1-12 werden beispielsweise die Grenzen des Stammesgebietes umrissen, noch vor der Gründung des Königreichs Israel. Ob die dort gegebenen Informationen immer einer kritischen Historiografie stand halten, ist natürlich seit langem Gegenstand der Diskussion und der Forschung. Und so geht es auch der Frage nach dem “Land der Juden”. Denn was heißt das schon. Der Stamm Juda schloss sich jedenfalls mit den Kalebitern und den Otnielitern, den Kenitern, den Jerachmeelitern und den Simeonitern zu einem Stämmebund zusammen. Damals war dort also auch schon einiges los.

    Hanno Loewy, Freitag, 15. Juni 2012

Mi 13. Juni 2012

Was macht ein gläubiger Jude, wenn er in Österreich am Samstag arbeiten muss? Z.B. als Kellner, Arzt, Chirurg?

Jodok Müller

  • Orthodoxe Juden arbeiten selten als Kellner in nicht-koscheren Restaurants. Die koscheren haben am Schabbat zu.
    Als Arzt kann man sicher zu einem Agreement kommen, der es einem erlaubt im Normalfall am Schabbat die Arbeit ruhen zu lassen.
    Etwas anderes ist es, wenn es um das Leben geht. Selbst der orthodoxeste Jude wird statt der Arbeit dann den Schabbat ruhen lassen, wenn es darum geht, Leben zu retten. Denn dieses Gebot wiegt allemal schwerer.

    Hanno Loewy, Freitag, 15. Juni 2012