19.Juni 2012
Ist es gut eine Gemeinschaft zu bilden, die sich von anderen abgrenzt? Ist es besser sich als Individuum zu sehen?

Robert Petschar

  • Das Problem ist wohl, dass Gemeinschaften immer durch zwei Faktoren entstehen, durch positive Gemeinsamkeit und durch negative Abgrenzung gegenüber anderen. An Speiseritualen lässt sich das besonders gut beobachten. Nichts stiftet mehr Gemeinsamkeit, als ein gemeinsames Mahl. Bestimmte Regeln verweisen auf die symbolische Bedeutung mancher Speisen und damit positiv auf gemeinsame Erfahrung (zum Beispiel der unter Christen am Freitag verzehrte Fisch). Und jedes Speiseverbot setzt eine Grenze zu jenen, die dieses Verbot verletzen, zum Beispiel weil sie andere Speisegebote einhalten.
    Dabei fallen einem die Speiseregeln der “anderen” meistens mehr auf, als die eigenen (die man schon so verinnerlicht hat, dass man sie einfach als Normalzustand wertet).

    Ist das nun “gut” oder “schlecht”? Es ist offenbar menschlich, denn alle Kulturen und Gesellschaften haben diese Praxis in der einen oder anderen Form eingeübt. Wer Fan einer Fußballmanschaft ist und das Gemeinschaftsgefühl genießen will, in einem solchen Kollektiv aufzugehen, wird nicht mit dem Fan-Schal der gegnerischen Mannschaft ins Stadion kommen. Und wer unbedingt in einem “christlichen Abendland” leben möchte, wird alles dagegen tun, dass in seiner näheren oder auch weiteren Umgebung ein Minarett errichtet wird.

    Sich als Individuum zu sehen, setzt eine gewisse Ich-Stärke voraus, über die offenbar nicht jeder Mensch immer verfügt. Aber letztlich sind wir doch eigentlich immer zugleich Individuum und Teil einer Gemeinschaft.
    Gefährlich wird es wohl, wenn wir nur noch das eine oder das andere sind. Und vor allem dann, wenn wir nur noch uns selbst (egal ob als Individuum oder als Gemeinschaft) sehen und gelten lassen wollen.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012