Der Blog zur
Ausstellung im
Jüdischen Museum
Hohenems
www.jm-hohenems.at

Di 19. Juni 2012

Warum können Juden nicht zugleich Christen sein? Es gibt doch Judenchristen.

Rainer Büchel

  • Das Christentum ist zu einer Zeit entstanden, als das Judentum in einer Krise war. Römische Besatzungsherrschaft und ein jüdischer König von römischen Gnaden, eine Priesterkaste, die versuchte, sich dieser Besatzung anzupassen und große soziale Spannungen waren der Nährboden für zahlreiche prophetische Prediger, die über das Land zogen und Anhänger sammelten. Jesus von Nazareth war einer von ihnen.
    Nach seinem Tod machten seine Anhänger aus ihm die Gründungsgestalt einer messianischen religiösen Bewegung, die zunächst darauf zielte, das Judentum radikal zu verändern – durch die Annahme, der Messias sei erschienen. Doch nachdem diese neue Bewegung im Judentum nur eine begrenzte Zahl von Anhängern fand, suchten und fanden die “Judenchristen” ihren Erfolg in der Bekehrung von “Heiden”. Das freilich veränderte das Christentum. Und der Ton der Abgrenzung gegenüber den “verstockten” Juden wurde aggressiver.

    Von “Judenchristen” heute zu sprechen macht wenig Sinn. Es gibt eine Bewegung “messianischer Juden”, die behaupten Christen geworden zu sein, und dennoch Juden geblieben zu sein. (In den USA firmiert diese Bewegung unter “Jews for Jesus”.) Und es gibt judaisierende Christen (manchmal mit jüdischen Vorfahren) die beide religiösen Wurzeln ihrer Existenz versöhnen wollen.
    Aber wenn Begriffe irgendeinen Sinn machen, dann doch weil sie auf eine Differenz hinweisen. Ein Tisch ist ein Tisch und ein Stuhl ist ein Stuhl, auch wenn man sich zur Not auch auf einen Tisch setzen kann.
    Zu den entscheidenden Grundlagen des Judentums gehört die geduldige Erwartung eines Messias. Und es ist in der jüdischen Tradition eine Sünde, zu glauben, dass man den Messias herbei zwingen kann. (Auch wenn die Lubawitscher Bewegung in ihrem Überschwang manchmal in messianische Fahrwasser abdriftet…)

    Man muss schon einige Akrobatik vollbringen um diese auf die Zukunft gerichtete Messiashoffnung im Judentum mit der erinnernden Messiasgewissheit des Christentums zu verwechseln oder in eins zu setzen. Aus einer jüdischen Sicht ist “ein messianisches Judentum” letztlich nur eine verkappte Missionierung und damit eine Fortsetzung einer unheilvollen Gewaltgeschichte mit friedlicheren Mitteln. Auch dann wenn “messianische Juden” den Sabbat halten.

    Was würden Christen dazu sagen, wenn eine Bewegung der “nicht-messianischen Christen” entstünde, die zwar weiter den Sonntag halten und Jesus als Propheten ansehen würden, aber ihn nicht mehr als Gottes Sohn und Messias betrachten würden. Würden Sie einen Anhänger einer solchen Bewegung noch als Christ ansehen?

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012

Di 19. Juni 2012

Ist es gut eine Gemeinschaft zu bilden, die sich von anderen abgrenzt? Ist es besser sich als Individuum zu sehen?

Robert Petschar

  • Das Problem ist wohl, dass Gemeinschaften immer durch zwei Faktoren entstehen, durch positive Gemeinsamkeit und durch negative Abgrenzung gegenüber anderen. An Speiseritualen lässt sich das besonders gut beobachten. Nichts stiftet mehr Gemeinsamkeit, als ein gemeinsames Mahl. Bestimmte Regeln verweisen auf die symbolische Bedeutung mancher Speisen und damit positiv auf gemeinsame Erfahrung (zum Beispiel der unter Christen am Freitag verzehrte Fisch). Und jedes Speiseverbot setzt eine Grenze zu jenen, die dieses Verbot verletzen, zum Beispiel weil sie andere Speisegebote einhalten.
    Dabei fallen einem die Speiseregeln der “anderen” meistens mehr auf, als die eigenen (die man schon so verinnerlicht hat, dass man sie einfach als Normalzustand wertet).

    Ist das nun “gut” oder “schlecht”? Es ist offenbar menschlich, denn alle Kulturen und Gesellschaften haben diese Praxis in der einen oder anderen Form eingeübt. Wer Fan einer Fußballmanschaft ist und das Gemeinschaftsgefühl genießen will, in einem solchen Kollektiv aufzugehen, wird nicht mit dem Fan-Schal der gegnerischen Mannschaft ins Stadion kommen. Und wer unbedingt in einem “christlichen Abendland” leben möchte, wird alles dagegen tun, dass in seiner näheren oder auch weiteren Umgebung ein Minarett errichtet wird.

    Sich als Individuum zu sehen, setzt eine gewisse Ich-Stärke voraus, über die offenbar nicht jeder Mensch immer verfügt. Aber letztlich sind wir doch eigentlich immer zugleich Individuum und Teil einer Gemeinschaft.
    Gefährlich wird es wohl, wenn wir nur noch das eine oder das andere sind. Und vor allem dann, wenn wir nur noch uns selbst (egal ob als Individuum oder als Gemeinschaft) sehen und gelten lassen wollen.

    Hanno Loewy, Donnerstag, 21. Juni 2012