Der Blog zur
Ausstellung im
Jüdischen Museum
Hohenems
www.jm-hohenems.at

So 25. März 2012

Gibt es heute noch eine Diaspora? Wenn ja, was ist die Identität der Diaspora Juden?

Ein Freund des Hauses (zigedrikkt)

  • Mensch Bubbele,
    welche Diaspora? Die Hohenemser Diaspora blüht und lebt in weltbürgerlicher Vielfalt zwischen San Franzisko, St. Gallen und Melbourne. Die verschiedenen jüdischen Diapora-Identitäten sind fast so zahlreich, wie die anderer in der Welt zerstreuter Minderheiten. Wahrscheinlich ist die jüdische Diaspora freilich die älteste und jene mit den meisten unterschiedlichen Zentren über so viele Epochen hinweg. Was sie zusammenhält ist eine alte, vielfach neuerfundene Tradition von Erzählungen und Gesetzen, die von Beginn an etwas mit Migration zu tun haben, damit, sich immer wieder an einem neuen Ort eine neue Heimat zu schaffen, und diese auch noch mit sich zu tragen. Das wäre, zigedrikkt, einmal die Kurzfassung. Für die Langfassung siehe z.B. (ein Buchtipp zum Thema)

    Diaspora. Erkundungen eines Lebensmodells, herausgegeben von Isolde Charim und Gertraud Auer Borea, Bielefeld, transcript, 2011.
    (Mit Beiträgen unter anderem von Benedict Anderson, Saskia Sassen, Homi Babha, Zygmunt Bauman, Biran Bingül, Ilija Trojanow, Vivian Liska, Tony Judt, Sari Nusseibeh, Diedrich Diedrichsen, Timothy Snyder und Hanno Loewy)

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Was versteht man unter “Shoa”?

M Soskocil (Name nicht gut lesbar)

  • Hebräisch für “Katastrophe”, seit 1948 verwendet für den nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden. 1959 wurde in Israel ein nationaler Trauertag mit diesem Namen eingeführt (Jom HaSho’a). Mit Claude Lanzmanns Film “Shoa” wurde das Wort auch im deutschen Sprachraum bekannt, häufig als Alternative zu “Holocaust” verwendet (um sich von einem Wort abzusetzen, dass einerseits für amerikanische Populärkultur stand, andererseits wörtlich mit “Brandopfer” zu übersetzen war, und auch aus diesem Grund Unbehagen auslöste). Als hebräisches Wort hat sich “shoa” allerdings im Sprachgebrauch nicht durchsetzen können.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Warum wurden die in Toulouse ermordeten jüdischen Kinder in Israel beerdigt?

Christina Quadri-Leemann

  • Ehrlich gesagt, diese Frage hat mich selbst schon am Tag nach diesem grausamen Mord beschäftigt. Mein erster Impuls war: muss man diese ermordeten Menschen nun auch noch politisch für die Propaganda der israelischen Regierung missbrauchen, die versucht, die französischen Juden für die Auswanderung nach Israel zu mobilisieren.
    Aber manchmal ist die Wahrheit viel einfacher und weniger politisch. Es war eine israelische Familie, die erst seit kurzem in Frankreich lebte. Wo sonst sollen sie ihre Kinder beerdigen, als da, wo die meisten Verwandten leben.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Warum so viele Vorschriften? 613 x

Willi Beerli

  • Diese Frage gehört zu jenen, die im Grunde kein Mensch beantworten kann. In der Tora werden die Gebote und Verbote, die sich zum Teil mehrfach wiederholen, nicht gezählt. Erst im Talmud ist von 613 Mitzwot (Geboten) die Rede, ohne nähere Aufzählung. Später haben rabbinische Gelehrte versucht, gültige Listen zu erstellen, so zum Beispiel Maimonides in seinem Sefer HaMitzwot. Später hat Josef Karo in seinem Schulchan Aruch (“Gedeckter Tisch”) die Mitzwot neu definiert (zunächst nur gültig für das sefardische Judentum), erschienen in der Taschenbuchausgabe von 1574 in Venedig, „um es bei sich tragen zu können, so dass es jederzeit und an jedem Ort zu Rate gezogen werden kann, auch während des Ruhens oder auf Reisen.“
    Mit den Ergänzungen von Rabbi Moses Isserles in dessen Buch HaMappah (“Die Tischdecke”) wurde die Fassung von Karo auch für aschkenasische Juden verbindlich.
    Das schöne an der großen Zahl von Geboten ist, dass sich niemand an alle halten kann, so dass ein eher individueller Zugang zur Observanz die Regel ist, im Schnitt so zwischen 5 und 500. Größerer Beliebtheit erfreuen sich zumindest einige der sogenannten 10 Gebote.
    Wobei die Missachtung der Aufforderung nicht “falsch Zeugnis abzulegen” derzeit in Österreich Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses darstellt. Mit farbenprächtiger Entfaltung.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Was heißt “Diaspora”? Was heißt “Kosher”? (full definition)

PGTH

  • “Diaspora” bedeutet einen Zustand der “Verstreutheit”, also des Nicht-Zusammenlebens einer Menschengruppe, die sich als Einheit empfindet. Eine full definition ist deshalb schwer, da es verschiedene Ansichten darüber gibt, was sie bedeutet und wie sie zu bewerten ist.
    Buchtipp: “Diaspora. Erkundungen eines Lebensmodells” (herausgegeben von Isolde Charim und Gertraud Auer Borea, Bielefeld, transcript, 2011).

    “Koscher” bedeutet “einwandfrei” oder auch “erlaubt”. Damit wird in den jüdischen Gesetzen geregelt, was der Mensch essen darf und was nicht, was der Mensch am Körper tragen darf und was nicht, und so weiter. Die Befolgung und die Nicht-Befolgung dieser Gesetze unterliegt verschiedenen Einflüssen und persönlichen Vorlieben.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kaschrut

    Hannes Sulzenbacher, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Warum ist es so schwer, das Wort Jude auszusprechen. Warum hab ich mich das heute nicht getraut?

Martina E.

  • Liebe Martina,
    das können wir schwer beantworten. Vielleicht standen zu viele Leute um Dich herum? Vielleicht hast Du das Wort schon zu oft in einem Ton ausgesprochen gehört, der Dir nicht gefällt?
    Für Juden selbst war das Wort nie ein Schimpfwort, aber allzu offenbar für manche anderen.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Wie steht das Judentum zur Homosexualität?

Yolanda Beerli

  • Die in der Bibel für diese Frage relevanten Stellen Leviticus 18,22 und 20,13 lassen nicht viel Spielraum in der Interpretation zu: Gleichgeschlechtliche Sexualität wird mit dem Tode bestraft, wie viele andere Dinge auch. Dennoch wird dieser Spielraum sowohl von orthodoxer wie auch reformerischer Seite genützt, um die jeweils eigene Meinung zu stützen.

    Hannes Sulzenbacher, Montag, 26. März 2012

  • Todesurteile wegen gleichgeschlechtlicher Sexualität, wegen Ehebruchs, wegen Innewohnens eines Wahrsagegeistes, wegen Übergeben des eigenen Kindes an den Moloch, wegen Verfluchens des eigenen Vaters oder der eigenen Mutter oder anderer in Leviticus 20 genannten “Gräueln” werden seit langer Zeit nicht mehr gefällt oder gar vollstreckt und gelten auch in den meisten orthodoxen Kreisen inzwischen als historisch überholt.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

DAVID BEN GURION Diesen Wunsch trage ich in mir für Ihre Nation

Margit Gohrbandt

  • Diese Frage ist für mich als Deutscher wirklich nicht leicht zu beantworten. Soll David Ben Gurion Angela Merkel als Bundeskanzler ablösen?

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

  • Für Österreich würde Ihr Wunsch die Kündigung Werner Faymanns bedeuten. Jene können wir gerne diskutieren, ich zweifle aber, ob DBG wirklich die Erlösung von allen nationalen Problemen bedeuten würde.
    Sollte sich Ihr Wunsch allerdings auf Israel (die Nation der Israelis) beziehen: Nun, die hatten ihn eh schon.

    Hannes Sulzenbacher, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Waren Abraham und seine Kinder beschnitten?

Willi Beerli

  • Laut Genesis 22,1-19 war Abraham nicht beschnitten. Sein Sohn Isaak, laut biblischer Erzählung, sehr wohl. Nun wissen wir über diese Familie ja nur aus der biblischen Überlieferung, auf die man sich nicht allzusehr verlassen sollte. Ob Beschneidungen am südlichen Euphrat (also der Heimat Abrahams) zu jener Zeit, von der hier erzählt wird, üblich waren, wissen wir nicht sicher zu sagen.
    Da die Frage aber auf die Kinder von Abraham kommt: Abrahams unehelicher Sohn Ismail, den Muslime viele Jahrhunderte später zu ihrem Stammvater erklärten, soll ebenso beschnitten worden sein.
    Über die Details dazu gibt es allerdings lange theologische Debatten. Ebenso, wie über die Frage, wer denn nun eigentlich geopfert werden sollte (Isaak oder Ismail). Die Erbitterung, mit der diese letzte Frage teilweise diskutiert wird, steht in einem reziproken Verhältnis zu dem Mangel an Beweisen dafür, dass diese Leute jemals existiert haben, oder gar der Folgen ihrer Familienstreitigkeiten bewusst gewesen wären. Ebensoviele Beweise (nämlich keine) gäbe es für die These, dass die Juden von Ismail und die Muslime von Isaak abstammen. bzw. von deren Müttern Hagar und Sarah.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012

So 25. März 2012

Glauben alle Juden an Moses?

Emilie & Frido Stecher

  • Die Frage kann zweierlei bedeuten:
    1. Hat Moses überhaupt jemals gelebt oder hat man sich diese Figur als “Religionsgründer” erst später ausgedacht?
    2. Glauben Juden an Moses, so wie Christen an Jesus glauben?

    zu 1: ob Moses jemals gelebt hat, kann heute niemand beweisen. Vor allem, ob alles stimmt, was man über ihn so erzählt. Die meisten Juden machen sich darüber auch nicht sehr viele Gedanken. Wer gläubig ist, der glaubt vermutlich auch das. Wer eher an Mythen und Legenden zweifelt, wird auch hier seine Zweifel haben.
    zu 2: Moses gilt ebenso wenig als “Heiliger” wie andere Gestalten der jüdischen Geschichte oder Vorgeschichte. Gläubige Juden glauben nicht an Moses, sondern an Gott.

    Hanno Loewy, Montag, 26. März 2012