Mi 28. März 2012
Gibt es jüdische Namen?
Kurt
Mi 28. März 2012
Fragesteller unbekannt
Puh, das sind viele Fragen auf einmal, die sämtlich eher in die Kategorie “Was ich schon immer über Antisemiten wissen wollte” fallen, also vermutlich doch eher an einen Antisemitismusforscher gerichtet werden sollten. Aber einige Antwortversuche seien dennoch auch von unserer Seite gewagt.
ad 1) Das Antisemitismus etwas mit rauschhaften Gefühlen und Gemeinschaftbildung auf Kosten eines ausgeschlossenen “Anderen” beruht, vor allem aber auf zum Teil wahnhaften Fantasien, die man über diesen anderen entwickelt, ist seit langem unstrittig. Dass nun auch die Molekular- und Neurobiologie zu diesem Schluss kommt, ist nicht überraschend, aber fügt dem Bild nicht sehr viel neues dazu.
ad 2) Einige Firmen versuchen heute mittels DNA-Analyse die interessanten Herkünfte zu beweisen. So kann man sich von der Forma Igenea in der Schweiz attestieren lassen wahlweise von Phöniziern, Wikingern, Juden, Schotten oder “Kriegern” abzustammen. Das Problem ist: die meisten Menschen auf diesem Erdball stammen von allen möglichen Gruppen ab. Man wird kaum jemand finden, der nicht von Wikingern, Phöniziern und Juden abstammen wird, wenn man nur lange genug zurück geht. Marina Belobrovaja, die am 14. Juni ihr persönliches “DNA-Projekt” vorstellen wird, hat es mit einer anderen “DNA” probiert, der unendlichen Kette von Erzählungen über jüdische Identität, die unserer menschlichen Kultur eher entspricht. Wir reden über unsere Fantasien, wir erfinden uns immer wieder neu, und wir streiten uns darüber, wer wir sind. Ihre eigene “DNA-Analyse” ergab laut Igenea, dass sie “Jüdin oder Slawin” sei, eine Erkenntnis, die Marina Belobrovaja wohl eher erheitert als klüger gemacht hat.
ad 3) Vor zwei gab es Gerüchte, dass “russische Geheimdienste” irgendwelche Schädel- und Knochenreste dieses Herrn aufgehoben hätten, was sich schnell wieder als Gerücht herausstellte. Hitlers Überreste sind nach Moskau überführt und vermutlich 1970 eingeäschert worden, um keine Wallfahrtstätte für Neonazis zu hinterlassen.
Auf eine DNA-Analyse und die Beantwortung der Frage, ob Hitler das “Krieger-Gen” (Igenea) oder wie die meisten Mitteleuropäer auch irgendeinen jüdischen Vorfahren besaß werden wir verzichten müssen.
ad 4) Jedem steht frei, wissenschaftlich aus diesem Buch zu zitieren. Und unzählige Menschen besitzen es. Im deutschsprachigen Raum ist die Publikation des Buches nicht erlaubt, fremdsprachige Ausgaben existieren in Hülle und Fülle.
Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Mein_Kampf
ad 5) Die Nationalsozialisten haben sich große Mühe gegeben, Juden anhand von körperlichen Merkmalen zu identifizieren und die “Rasseforschung” wurde im Nationalsozialismus zur Leitwissenschaft. Unzählige Menschen wurden vermessen und fotografiert, und manchmal dafür auch extra umgebracht, um ihre Schädel “erforschen” zu können. Wie man sich denken kann hatte diese Praxis mit wissenschaftlichen Standards nichts zu tun. Im wesentlichen haben die Nazis herausgefunden, dass Juden in der Regel eine Nase, einen Mund und zwei Augen haben. Für die Entscheidung über Leben und Tod hielt man sich an traditionelle Methoden, Standesamtsbücher, Religionszugehörigkeit und Herkunft. Wie sie mit Konvertiten umgehen sollten, stellte die Nazis vor ein Problem. Und wie so oft handelten sie keineswegs so einheitlich, wie sie immer gerne taten. Zum Judentum konvertierte Christen wurden zumeist dann als Juden behandelt, wenn sie das “Angebot” ausschlugen, aus dem Judentum wieder “auszutreten” und ihre jüdischen Ehepartner und Familien im Stich zu lassen.
In der Regel aber galt das Prinzip der Herkunft. Und ob die Vorfahren Konvertiten waren oder nicht, wurde nicht überprüft.
ad 6) Natürlich haben Juden immer wieder versucht, sich gegen antisemitische Diskriminierung auch mit juristischen Mitteln zu wehren. Auch gegen die Arisierung des Alpenvereins. Mit wechselndem und in Summe eher entmutigendem Erfolg.
Siehe unter anderem:
Avraham Barkai: „Wehr dich!“ Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) 1893–1938. Beck, München 2002; oder das Buch von Inbal Steinitz: Der Kampf jüdischer Anwälte gegen den Antisemitismus. Die strafrechtliche Rechtsschutzarbeit des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. (1893–1933). Metropol-Verlag, Berlin 2008.
ad 7) Eduard Pichl wurde nicht belangt. Die nach ihm 1923 benannte Alpenvereinshütte in den karnischen Alpen wurde erst 2002 (nach erbitterten Diskssionen) wieder in Wolayerseehütte zurückbenannt.
ad 8 So wird es in der Literatur immer wieder behauptet.
ad 9) Hitlers “freundliche” Äußerung steht in keinem Gegensatz zu seinen späteren. Nicht zuletzt Antisemiten sind der Meinung, dass “die Juden” besonders “klug” seien und “besser zusammenhalten” würden als andere. Hat man ihnen diese Eigenschaften erst einmal zugeschrieben, kann man auf sie auch gehörig neidisch sein. Und das weitere ergibt sich dann.
Hanno Loewy, Mittwoch, 28. März 2012
Lieber Kurt,
die Frage nach den “typisch jüdischen” Namen bezieht sich meistens auf solche Namen, die dann auch dem Fragenden erlauben, den Namensträger als Juden zu identifizieren, also auf “Goldstern” und nicht auf das nicht weniger häufig vorkommende “Meyer” (in all seinen Schreibweisen). Dass man mit solchen Klischees aber schlecht fährt, zeigt sich unter anderem und nicht zuletzt am nationalsozialistischen Ideologen Alfred Rosenberg bzw. an der niederösterreichischen (um es mal vorsichtig auszudrücken:) “FPÖ-Familie” Rosenkranz.
Es gibt dazu außerdem einen ausführlichen wikipedia-Eintrag:
http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdischer_Familienname.
Hannes Sulzenbacher, Donnerstag, 29. März 2012
Lieber Kurt,
auch von mir noch ein Lesetipp zum Thema:
Dietz Bering, Der Name als Stigma
Hanno Loewy, Samstag, 7. April 2012