1.April 2012
Kann man (gleichberechtigt) zum Judentum konvertieren?

Bratsch

  • Wenn Sie damit meinen zum Judentum konvertieren zu wollen und gleichzeitig die gängigen (theoretischen) westlichen standards der Gleichberechtigung von Mann und Frau beibehalten zu wollen: Ja, das ist kein Problem, es gibt das (Ultra-)Reformjudentum, in dem selbst schwul/lesbische Gemeinden ihren Platz finden. Und auch das konservative Judentum hat sich diesbezüglich Schritt für Schritt geöffnet.
    Wenn Sie aber den Übertritt als Prozess meinen, ist bei den meisten Männern die Beschneidung durchzuführen. Was Konvertitinnen erspart bleibt.

    Hannes Sulzenbacher, Montag, 2. April 2012

  • Lieber Hannes, lieber “Bratsch”,
    ich vermute, die Frage ist anders gemeint. Gleichberechtigt zum Judentum konvertieren, ich verstehe das so: Ist man als Konvertit anderen Juden gegenüber gleichberechtigt / gleich angesehen?
    Darauf würde ich antworten:
    Es kommt darauf an, mit wem man es dann zu tun hat, und in welchem Kontext man übergetreten ist. Und wie so oft im Leben ist gleichberechtigt sein und gleiche Rechte tatsächlich auch zu bekommen und leben zu können nicht dasselbe. Muslime in Österreich zum Beispiel sind (wenn sie österreichische Staatsbürger sind) gleichberechtigt. Aber sie werden ziemlich häufig die Erfahrung machen, dass die Realität dem nicht immer ganz entspricht.

    Formal ist der Übertritt zum Judentum möglich, wird aber nicht forciert. Wenn er den Regeln entsprechend vollzogen worden ist, dann ist der Konvertit Jude und in allen Punkten in der Gemeinde gleichberechtigt.
    Aber Probleme gibt es natürlich:
    Erstens: der Faktor Mensch. Menschen sind manchmal schwach und lassen ihre eigene Schwäche an anderen aus. Ein solcher Ausdruck der Schwäche ist es, Konvertiten spüren zu lassen, das sie keine “richtigen” Juden sind. Dem wird man immer wieder begegnen. So wie ein jüdischer oder muslimischer Österreicher wohl immer wieder jemand begegnen wird, der ihm signalisiert, das er gar kein richtiger Österreicher ist.
    Zweitens pflegen (insbesondere da wo viele Juden leben) verschiedene Gemeinden einen unterschiedlichen Umgang mit den Traditionen (von Reform bis orthodox) und das heißt auch, einen unterschiedlichen Umgang mit Konversionen. Ein Übertritt in einer Reformgemeinde in den USA ist sicherlich leichter (wobei man sich auch da keine falschen Vorstellungen machen sollte, anderthalb oder zwei Jahre Zeit sollte man schon mitbringen) als bei einer ultra-orthodoxen Gemeinde.
    Dementsprechend akzeptieren Reformgemeinden auch einen Übertritt bei einer orthodoxen Gemeinde, aber umgekehrt orthodoxe Gemeinden häufig nicht einen Reform-Übertritt.
    Drittens kommt es natürlich auch darauf an, aus welchen Gründen man übertritt. Unterschieden wird zumeist zwischen drei Gründen:
    1. “Re-Konversion” von Menschen, die jüdische Vorfahren haben.
    2. “Liebes-Konversion” zum Zwecke der Eheschließung.
    3. “spirituelle Konversion” aus rein religiösen Gründen.
    Man kann sich vorstellen, dass “Re-Konversionen” oft am unproblematischsten ablaufen, “Liebe-Konversionen” sind besonders häufig und dabei stellt sich, von Seiten der Gemeinde vor allem die Frage, ob der Konvertit bereit ist, für die “jüdische Identität” der Kinder zu sorgen. Das heißt auch, die Liebeskonversion ist bei Frauen häufiger, als bei Männern, die ja für die Frage ob das Kind als “jüdisch” gilt, nicht so entscheiden sind. Eine irgendwie heikle Frage – auf die man pragmatisch und eine wenig absurd damit antwortet, dass man verlangt zu beweisen, in der Lage zu sein, einen Haushalt unter Einhaltung der traditionellen Rituale und der Kaschrut (den Koscher-Gesetzen) zu führen. (Was die Mehrheit der Juden ja selbst gar nicht tut) Ob die Konversion nachhaltig ist (selbst wenn man sich nachher vielleicht wieder der üblichen Praxis annähert, es mit Kaschrut und Tradition nicht ganz so ernst zu nehmen), das hängt am Ende vor allem vom Erfolg der Ehe ab…
    “Spirituelle Konversionen” werden mit der größten Vorsicht behandelt – und sie erweisen sich tatsächlich auch in der Praxis nicht immer als sehr dauerhaft. Denn wer einmal das Bedürfnis verspürt, sich einem anderen Glauben zuzuwenden, der verspürt dieses Bedürfnis auch oft ein zweites Mal. Als temporäre spirituelle Orientierung hat sich das Judentum freilich in keiner seiner Ausprägungen jemals verstanden.
    Jude zu sein heißt ja letztlich, sich auf eine bestimmte historische Erfahrung zu beziehen. Das ist etwas anderes, als ein spirituelles Erlebnis zu suchen. Und zum Judentum zu konvertieren bedeutet, sich dieser historischen Erfahrung anzuschließen, was vermutlich nicht einfach ist. Aber es ist immer wieder in der Geschichte möglich gewesen.
    Manchmal machen es auch Konvertiten ihrer jüdischen Umgebung nicht ganz leicht, weil sie die Einhaltung der Traditionen oder das spirituelle Erleben in den Vordergrund stellen – und diesen Anspruch auch an ihre Umgebung stellen. Denn schließlich suchen Konvertiten häufig neue Sicherheit.
    Doch man kann Jude sein, ohne gläubig zu sein. Und zum jüdischen Zweifel zu konvertieren ist vielleicht besonders schwierig.

    Ab Oktober 2012 zeigt das Jüdische Museum Hohenems (und 2012 uach die Jüdischen Museen in Frankfurt und in München) eine Ausstellung zum Thema Konversion. Dann gibt es auch einen Katalog mit vielen Antworten auf diese Fragen.

    Hanno Loewy, Samstag, 7. April 2012